Josef Tauchers Malerei berührt. Unweigerlich evozieren Himmel, Gebirgsformationen und Schluchten übermenschliche Erhabenheit und spirituelles Gleichmaß. Bis dieser Horizont erreicht war, erfolgten vielfältige Schaffensperioden. In der schöpferischen Prämisse – nach Vervollkommnung seiner auf der Leinwand sichtbar
gemachten Inbilder – legte der Künstler eine unverwechselbare Spur und begab sich auf den vermeintlich kontradiktischem Pfad der Erdwissenschaften. Fortan, nicht immer augenfällig, korrelieren Kunst und Wissenschaft in seinem Werk.
Die Leidenschaft für den Fels und das Anfassen der Steine prägen sich tief ein. Zugleich erweitert sich der Beobachtungsfokus. Topographische Gesetzmäßigkeiten wie die Strukturen der Bergwelt werden vorrangig mit zeichnerischen Mitteln ausgelotet.
In dieser Ausstellung geben sowohl der „Pfefferfresser“ (1972) als auch die „Realitätscollage“ (1973) erste Vorboten einer analytisch-methodischen Arbeitsweise: Mathematisch definierte technische Zeichnungen (von Hand gezeichnet), Statistiken (ohne digitale Hilfsmittel errechnet), „Peaks“, nach wie vor eine Darstellungsform wissenschaftlicher Datenreihen, auf einer Ebene mit der aus dem Gedächtnis heraus gemalten Ringmauer und dem Kasparek-Pfeiler (rote Linie) des Hochschwabmassivs sind zu sehen.
Die reale Erscheinungswelt wird unablässig in Frage gestellt. Was Josef Taucher macht, ist nirgendwo sonst zu finden. Er ist und war zu keinem Zeitpunkt ein Landschaftsmaler im tradierten Sinn, sondern ein Maler der Vertikale
und der Schwerkraft. Er selbst sagt „Der Berggipfel ist ein eigenartiger Ort. In der Wand hängt das Gewicht der Tiefe an den Füßen des Kletterers. Kaum am Rand des Gipfels angelangt, wandelt sich dieses Gefühl und der Himmel zieht dich in die Tiefe hinein.“ Als Extremkletterer beeindruckten ihn allem voran die vertikalen Abgründe und das dem „Oben“ und „Unten“ Ausgeliefert-Sein. Seine Kompositionselemente reduziert er auf Felswand und Himmel. Hinzu kommen Zeit, Gewicht und Luftbewegung. „Ausbruch 3“ (2017) etwa zeigt wie ein Maler/eine Malerin die Gewichtung von Tiefe auf die Leinwand bringen kann und zugleich in der Lage ist, diese Schwerkraft auf derselben wieder aufzuheben. Seine Werke mit glasklaren, tiefblauen Himmeln hinter vereinzelten Wolken zeichnen ihn als unvergleichbaren Maler der Unendlichkeit des Weltraums wie auch dem Dehnen und Krümmen von räumlichen Dimensionen aus.
Zunächst aber rückt sein soziales Umfeld ins Zentrum. Josef Taucher malt großformatige Portraits und setzt
oder stellt seine Modelle in eigens für sie frei erfundene, akribisch ausgeführte Interieurs. Mit dem unvollendet gebliebenen Bildnis „Bea Tybery“ (1976) vollzieht er den vollständigen Wandel zur Bergmalerei, indem er die Figur erstmals ins Freie stellt.
Seine Umgebung, der Boden, auf dem er steht, der Himmel über ihm, all das interessiert ihn. Felswände und sich aufbäumende Wolken formiert er aus dem Gedächtnis zu archetypischen Bildausschnitten. Klares Licht fällt auf menschenlose Steilhänge, verliert sich in Abgründen oder fährt in ungeheurer Geschwindigkeit mit gleichsam kristallin erstarrten Wolkengestalten.
Die Blickrichtung eines Kletterers, welcher in einer steilen Felswand verharrend zum Himmel aufschaut, überlagert er mit weiteren Perspektiven. Damit nähert er sich seinem Kerninteresse, der Darstellung des dreidimensionalen Raumes auf einer zweidimensionalen Fläche, experimentell und systematisch an. Seine Gemälde resultieren aus der intensiven Auseinandersetzung mit dem Raum und sind primär keine Interpretation der Natur. Im Unterschied zu Landschaftsmalereien der Romantik entfällt der Größenvergleich, da keine Lebewesen auszumachen sind.
Die betrachtete Größenskala in seinen gemalten Raum-Zeit-Kontinuen bleibt unbestimmt. Die verschiedenen Größenordungen sowie die geometrische Perfektion von Kristallen entfachten den Forschergeist des Künstlers nachgerade.
Die Farben, die Durchsichtigkeit, die Undurchsichtigkeit, was hat es damit auf
sich? Zwangsläufig stellte sich die Frage, woraus Gestein, der Untergrund der Kletterei, bestünde.
Josef Taucher malt mit Vorliebe „Kalkwände“. Er kennt sie von Dolomitentouren, vom steirischen Gesäuse, dem
Hochschwabmassiv und so fort. Deren Felsen „versteht“ er, diese dem Kalk eigenen Oberflächenstrukturen. Er sieht die Sonne darauf scheinen und die Erosion. Von seinen Beobachtungen und Erfahrungen „zehrt“ er. So liest er
anhand der Farbe des Felsens ab, ob dieser brüchig oder fest, ob er mit Wasser überronnen oder trocken ist. Er will wissen, warum ein Berg so aussieht wie er aussieht. Erklärungen dafür sind teilweise in der Mineralogie zu finden. Der Forscherdrang führt ihn unter die Oberfläche hinein in die atomaren Ebenen der Materie.
In kristalliner Materie erfüllt die Elementarzelle eines Minerals ein bestimmtes räumliches Volumen abermillionenfach mit ein- und derselben Struktur. Bei Taucher sind es Bildausschnitte, welche, unabhängig von ihrer physischen Abmessung, in alle Richtungen endlos ausgedehnt werden könnten.
In den 1980er Jahren beschäftigte sich Taucher in seinen Bildkompositionen vorwiegend mit der Gesamtansicht von Bergen oder Gebirgsketten, welche er nebeneinander oder hintereinander staffelte. Wichtig hierbei war ihm die Darstellung der horizontalen Dimension. In der Rückschau betrachtet ist zu erkennen, dass schon damals eine Art „Pattern“ angelegt war. Dieses Wiederholungsmuster rückt ab den 1990ern in den Vordergrund, zeitgleich mit Tauchers intensiver Beschäftigung mit mineralogischen Fragestellungen. Was, ebenfalls erst im Nachhinein zu
erkennen, auf eine - eher unbewusste - Beeinflussung von der angeeigneten naturwissenschaftlichen Denkweise hindeutet. „Himmel 6“ (1997) und „Himmel 18“ (2002) sind zwei Stellvertreter für die gleichnamige,
durchnummerierte Bildserie, in welcher die mineralogischen Kenntnisse unzweifelhaft großen Einfluss auf Form und Charakter der Wolken nehmen. Deshalb jedoch malt er keine Wolken, vielmehr dienen sie als Mittel zum Zweck um seine Gemälde in Bewegung zu versetzen. Wolken sind irreale Elemente in den Bildern. Im selben Augenblick
beschleunigen sie in auseinander strebende Richtungen. Immer ist es der „Innere Berg“ wovon die Malerei ihren Ausgang nimmt, nie geht es um ein bestimmtes Gebirge. Auf der Leinwand wirkt die Kenntnis von der scheinbar wilden Oberfläche der „Welt“ und der Perfektion von Kristallen als Gegenpol nach und manifestiert sich als latentes Spannungsfeld.
Taucher hat im Verlauf von Jahrzehnten eine Maltechnik entwickelt, mit welcher es ihm gelingt, die Hülle der Gebirge dicht und undurchdringlich erscheinen zu lassen. Unter Verringerung des Abstandes zum Bild hingegen beginnt sich das Äußere des Berges aufzulösen, immer tiefer wandert der Blick durch den festen Fels hindurch und holt den inneren Aufbau des Berges heran. Oftmals erschafft Taucher mit filigran aufgetragenen Netzwerken imposante Gebirgshänge und Felsformationen. Diese feinen Raster erzeugen nebenbei Licht und Schatten, wobei sich das Licht nicht geradlinig ausbreitet sondern an abwechselnd undurchdringlichen oder transparenten Oberflächenreliefen entlang tastet („Ausbruch 8“, 2018).
Die Nachtbilder waren eine Versuchsreihe um das Phänomen Nacht sichtbar zu machen und dabei mit so wenig Licht wie irgend möglich auskommen zu können („Nacht 17“, 2002), wobei das meistens ausschließliche Weiß mit enormem Fingerspitzengefühl und hauchdünn aufgetragen wurde. Zusätzlich arbeitet er in manchen Arbeiten Lichteffekte eines Leuchtens aus dem Bildgrund heraus, womit wir wieder den „inneren Berg“ erklommen hätten.
Verfasst am 14. September 2018
Christine Elisabeth Hollerer: Josef Taucher. Bergmalerei versus Erdwissenschaft. In: Ausstellungskatalog Josef Taucher, 20.9.-31.10.2018, Galerie Transit. Barbara B. Edlinger / Galerie Transit (Hg), Graz 2018, S. 14-17.
Christine Elisabeth Hollerer, Studium der Mineralogie-Kristallographie, Kulturanthropologie, langjährige Kulturarbeit, Autorin.